Asteroiden, Immobilienblasen und der Nutzen der Wissenschaft

Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit gelingt es Astronomen erst viel zu spät, Asteroiden zu entdecken, die sich auf Kollisionskurs mit der Erde befinden. Gerade erst im März passierte es wieder: Ein dicker Klops wurde nur wenige Tage entdeckt, bevor er dann doch knapp an der Erde vorbeiflog. Wir hätten jedenfalls im Ernstfall keine Zeit mehr gehabt, einen Filmhelden ins All zu schicken, um die Welt zu retten. Welchen Nutzen hat eigentlich eine Astronomie, die Asteroiden nicht rechtzeitig entdeckt? Was hat die Gesellschaft eigentlich von diesen pseudo-präzisen Rechenknechten, die nur in ihren abstrakten Modellen leben und dann nicht einmal den Weltuntergang rechtzeitig bemerken?

Das sind, zugegeben, sehr dumme Fragen. Aber sie entsprechen ziemlich genau dem, was sich Ökonomen heutzutage angesichts der Finanzkrise anhören müssen. Zum Beispiel in einem Artikel der Business Week:

Economists mostly failed to predict the worst economic crisis since the 1930s. Now they can't agree how to solve it. People are starting to wonder: What good are economists anyway? A commenter on a housing blog wrote recently that economists did a worse job of forecasting the housing market than either his father, who has no formal education, or his mother, who got up to second grade. "If you are an economist and did not see this coming, you should seriously reconsider the value of your education and maybe do something with a tangible value to society, like picking vegetables,"

Was soll man dazu sagen? Vielleicht, daß Ökonomen schon seit vielen, vielen Jahren immer wieder darauf hinweisen, daß eine zu expansive Geldpolitik die Blasenbildung bei Vermögenswerten anheizen kann. Auch die Tatsache, daß eine Blase bei Immobilienwerten besonders problematisch ist, wurde schon vor Jahren erkannt. Hören wir beispielsweise mal, was Jean-Claude Trichet in einer Vorlesung im Sommer 2005 zu sagen hatte:

Certainly not all asset price booms are dangerous. Booms are likely to be costly if associated with high leverage, which is, for example, usually the case in housing price booms. [...] Housing price peak-to-trough periods are longer on average and, despite the fact that the decline in prices is somewhat smaller, the associated output losses are notably bigger. The output losses incurred during a typical housing price bust amount to 8% of GDP, which is double the average loss during an equity price bust. The reason is a different exposure of the banking system to mortgages than to shares.

Man muß zugeben, daß die meisten Ökonomen das Ausmaß der Folgen eines Platzens der Immobilienblase tatsächlich unterschätzt haben. Der folgende, ebenfalls im Jahr 2005 formulierte Satz der damaligen Präsidentin der Federal Reserve Bank of San Francisco, Janet Yellen, ist dafür ein gutes Beispiel:

In answer to the first question on the size of the effect, it could be large enough to feel like a good-sized bump in the road, but the economy would likely to be able to absorb the shock.

Was also lief falsch im ökonomischen Prognosegeschäft? Wahrscheinlich dies: Niemand hat rechtzeitig den Asteroiden gesehen. In unserem Fall bedeutet dies, daß Yellen und alle anderen wahrscheinlich sogar Recht behalten hätten, wenn es nur um Immobilienwerte gegangen wäre. Die neuen Finanzinstrumente und ihre epidemischen Auswirkungen im Finanzsektor hatte dagegen kaum jemand rechtzeitig im Kalkül. Und daß Unternehmen wie AIG miteinander hoch korrelierte Risiken millionenfach versichern, ist auch kaum jemandem aufgefallen. Das ist auch kein Wunder, denn der Blick in die Details der Geschäfte einzelner Unternehmen interessiert Ökonomen normalerweise nicht. Er hätte zwar vielleicht in Fällen wie AIG doch zu einigen wertvollen, zusätzlichen Erkenntnissen geführt. Nur muß man ehrlich sagen, daß Detektivarbeit in Unternehmensbilanzen einfach nicht unser Job ist. Das war vielleicht eher eine Aufgabe für investigative Wirtschaftsjournalisten, von denen man aber in dieser Sache auch nichts gehört hat.

Wenn ein Amateurastronom mit einem Refraktor auf seinem Garagendach einen neuen Kometen oder Asteroiden entdeckt (das passiert häufiger, als man denkt), dann beschämt er damit nicht die professionellen Forscher in den teuer ausgestatteten Max-Planck-Instituten, sondern er zeichnet sich dadurch aus, daß er sich für ein Gebiet interessiert, auf dem das Hauptaugenmerk der professionellen Forscher nicht liegt. Ganz ähnlich ist das Problem der professionellen Ökonomen nicht, daß sie lausige und irrelevante Theorien hätten, und auch nicht, daß sie schlechte empirische Forschung betreiben würden. Aber man muß es nochmal so klar sagen: Wir interessieren uns für allgemeine theoretische Erklärungen und allgemeine empirische Zusammenhänge. Dieses Wissen hat im letzten Jahrzehnt jede Menge Ökonomen dazu veranlaßt, allgemeine Warnungen auszusprechen -- vor der Blase auf den amerikanischen und einigen europäischen Immobilienmärkten, vor zu expansiver Geldpolitik nach dem Ende des Internetbooms und nach 9/11 und so weiter. Diese Warnungen wurden aber leider gerade von solchen politischen Entscheidungsträgern ignoriert, die jetzt im Nachhinein gerne für sich einen den Märkten überlegenen Grad an Rationalität behaupten. Wer wollte sich schon beim Wähler unbeliebt machen, indem er die Regeln für die Hypothekenvergabe halbstaatlicher Banken verschärft?

Nochmal zurück zu den Astronomen: Seit Jahrzehnten warnen diese, daß es das allgemeine Risiko gibt, daß größere Asteroiden mit der Erde kollidieren können. Ebenso empfehlen sie seit Jahrzehnten, daß Staaten doch mal in ein (sicher nicht ganz billiges) Programm investieren könnten, das sich mit der Frage beschäftigt, wie Clint Eastwood und Bruce Willis im Ernstfall den Asteroiden vom Kollisionskurs abbringen können. Sind die Astronomen nun nutzlos, weil sie -- wie die Ökonomen -- nur eine allgemeine Risikoeinschätzung geben können, aber vom Auftauchen eines konkreten Asteroiden zuweilen genauso überrascht sind, wie wir vom exakten Zeitpunkt des Platzens einer Immobilienpreisblase? Da sind sie wieder, die dummen Fragen.