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Mehr (oder weniger) Licht

Nicht alle Länder sind mit einem gut funktionierenden Statistischen Bundesamt ausgestattet, so daß es für viele Gegenden der Welt nur Einkommensdaten von zweifelhafter Qualität gibt. Was tun? Henderson et al. schlagen folgendes vor:

GDP growth is often measured poorly for countries and rarely measured at all for cities. We propose a readily available proxy: satellite data on lights at night. Our statistical framework uses light growth to supplement existing income growth measures. The framework is applied to countries with the lowest quality income data, resulting in estimates of growth that differ substantially from established estimates. We then consider a longstanding debate: do increases in local agricultural productivity increase city incomes? For African cities, we find that exogenous agricultural productivity shocks (high rainfall years) have substantial effects on local urban economic activity.

Interessante Idee. Andererseits, sollten irgendwann die Astronomen mit ihren Klagen über Lichtverschmutzung Gehör finden (schön wär's), dann wird in unseren Gegenden die Einkommenselastizität der Beleuchtung vielleicht bald negativ und Dunkelheit zum Luxusgut. Ist aber für Henderson et al. auch egal, denn wir haben ja das Statistische Bundesamt und daher solide Einkommensdaten.

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Die Legende vom DIW und der Vermögensteuer

Im Wochenbericht 30/2009 des DIW, erschienen am 22. Juli, findet man einen Beitrag zur Vermögensteuer. In der Financial Times Deutschland findet man einen Artikel über diesen Beitrag. Der Tenor des FTD-Artikels ist eindeutig: Dem Leser soll suggeriert werden, daß die Experten des DIW sich für eine Wiedereinführung der Vermögensteuer aussprechen.

Die Lektüre des DIW-Beitrages kann ich nur empfehlen. Da stehen kluge Argumente zur Grundsteuer drin, für deren Revitalisierung durch eine Bewertung von Immobilien möglichst nah am aktuellen Verkehrswert viel spricht. Gerade wenn man als guter Föderalist die Finanzautonomie der Gemeinden stärken will, wird man gegen eine aufkommensstärkere Grundsteuer nicht viel einwenden können.

Lesenswert ist aber auch, was im DIW-Wochenbericht zur Vermögensteuer steht:

Um ein nennenswertes Mehraufkommen aus der Besteuerung der „großen“ Vermögen jenseits eines großzügigen Freibetrags zu erzielen, muss man mit Steuersätzen arbeiten, die eine deutliche Mehrbelastung bezogen auf die relevanten wirtschaftlichen Zielgrößen bedeuten. Eine laufende Vermögensbesteuerung von einem Prozent auf die tatsächlichen Marktwerte bedeutet bei einer Rendite von drei Prozent eine zusätzliche Ertragsteuerbelastung von 33 Prozent. Entsprechend entwertet sie den Vermögenswert längerfristig um ein Drittel. Die Wirkung von Verzerrungen durch die Bewertungsverfahren, durch die unzulängliche Erfassung von Vermögensobjekten und durch Steuervergünstigungen wird sich dadurch deutlich verschärfen. Auch sind dämpfende Wirkungen auf Kapitalbildung und Investitionen im Inland möglich, bei der Erbschaftsteuer spielt die Unternehmensnachfolge bei kleinen und mittelständischen Familienunternehmen eine Rolle. Nicht zuletzt ist die Steuerflucht ins Ausland eine Alternative für die Betroffenen. Zwar wird die Nutzung von ausländischen Steueroasen für Inländer zunehmend erschwert. Gleichzeitig ist aber ein steuerlich motivierter Wohnsitzwechsel ins Ausland leichter geworden. Hier müssten internationale Regelungen getroffen werden, um diese Option wirksamer zu verhindern. (S. 484f.)

Klingt nicht unbedingt nach einem enthusiastischen Aufruf zur Wiedereinführung der Vermögensteuer, oder? Im gleichen Wochenbericht ist auch ein Interview mit dem Autor des Beitrages zur Vermögensteuer, Stefan Bach, eingeschoben. Er meint:

Eine Wiedereinführung der persönlichen Vermögensteuer auf das gesamte Vermögen oder eine Vermögensabgabe sehe ich skeptisch. Wenn man das will, dann sollte man eher die Kapitalertragsteuersätze und die Gewinnsteuersätze wieder etwas anheben. Doch auch hier muss man sich der Diskussion stellen, ob das im internationalen Wettbewerb überhaupt sinnvoll ist. (S. 479)

Oh, na sowas, das war aber deutlich. Da hat bei der FTD wohl jemand einen eher schlechten Tag gehabt. Das Problem ist nur, daß sich die Legende blitzschnell verselbständigt hat -- gerne mit Verweis auf den FTD-Artikel, und offensichtlich ohne jemals im DIW-Wochenbericht selbst nachgeschlagen zu haben. Zum Beispiel hier.

Sogar das DIW befürwortet die Wiedereinführung der Vermögensteuer! -- das hat das Potential zur ökonomischen Wahlkampflegende 2009.

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Die Fed unter Kontrolle

Es kommt nicht selten vor, daß die Unabhängigkeit von Zentralbanken kritisiert wird. Normalerweise hört man Forderungen nach einer stärkeren politischen Kontrolle von Zentralbanken dann, wenn ihre Kritiker das Zinsniveau für zu hoch halten. In fast jeder Aufschwungsphase findet man jemanden, der meint, die Zinserhöhungen kämen viel zu früh und würden die gerade einsetzende Erholung abwürgen. Und in jeder Abschwungsphase gibt es Kritiker, die schon nach den ersten schlechten Nachrichten Deflationsgespenster sehen und nach einer stärker expansiven Geldpolitik rufen. Diese Kritiker meinen dann oft, daß institutionelle Reformen zu einer - aus ihrer Perspektive - besseren Geldpolitik führen würden. Stur auf das Preisniveau fixierte, unabhängige Zentralbankiers müßten durch politischen Druck dazu gebracht werden, das Ziel der Stabilität des Geldwertes etwas niedriger, und andere Ziele etwas höher zu gewichten.

Mehr hinter diesem Link, weitere Hintergründe hier.

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Publish or perish

Die nächsten Ausgaben des AER könnten teilweise recht witzig werden:

The AER has a backlog of two to three years between when papers are submitted and when they appear in print. Some of the papers currently in the pipeline, submitted before the crisis broke, predicted that the U.S. or global economy would remain prosperous and stable for many years to come. The professor wrote to all of these authors, asking them if they would like to withdraw their articles or at least modify them. All refused.

Consequently, for something like the next three years, the AER will interleave articles explaining why the crisis occurred with articles explaining why the crisis could not occur.
(via Naked Capitalism)

Ganz ehrlich, aus der Sicht der Autoren ist diese Haltung auf diesem Publikationsniveau absolut plausibel, sofern eine Überarbeitung der Papiere mit einer risikoreichen Neueröffnung des Referee-Verfahrens verbunden wäre. Der Herausgeber andererseits hält sich an die Regeln: Er akzeptiert das Ergebnis des Referee-Prozesses. Insofern ist die Veröffentlichung solcher Papiere wahrscheinlich nur für Außenstehende kurios -- und die meisten dieser Papiere enthalten vermutlich jenseits der nun offensichtlich falschen Hypothesen auch methodisch Interessantes, das die Veröffentlichung rechtfertigt.

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Lehren aus der Finanzkrise

In a nutshell, the crisis has burst due to a number of specific technical problems in the functioning and regulation of financial markets, and it has been exacerbated by a number of mistakes made during the management of the crisis. Although these are complex problems, they can be tackled and solved with appropriate, although deep, reforms of financial regulation. If we will be able to learn from these mistakes and manage the recovery from the crisis well, the economy will be back to how it used to be, and even better, with less excesses and more stability. Talking about a crisis of capitalism, the end of globalisation, the crisis of a whole system and of way of thinking would be a huge exaggeration.

Guido Tabellini in einem lesenswerten Zweiteiler: Teil 1 und Teil 2.

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Zuviele langweilige Erklärungen?

Die meisten populären Angriffe, die es in letzter Zeit gegen die Volkswirtschaftslehre gegeben hat, warfen uns Ökonomen vor, daß wir nicht genug erklären können. Unsere Modelle seien nutzlos, weil wir mit ihnen vieles von dem, was im Verlauf der Finanzkrise passierte, nicht richtig prognostiziert hätten.

Insoweit ist die wirtschaftsethische Kritik an der Ökonomik, die gerade im Wirtschaftsdienst erschienen ist, zumindest originell. Sie wirft uns nämlich vor, daß wir zuviel erklären!

Das alles liest sich sehr nach Feuerbach-Thesen -- die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, jetzt kommt es darauf an, sie zu verändern! -- auf die Volkswirtschaftslehre gemünzt. Der Autor hat beispielsweise etwas dagegen, daß Ökonomen konditionale Politikempfehlungen abgeben, in der Form von Wenn es Ziel der Politik ist, die Arbeitslosigkeit zu senken, dann sollte sie..., denn er meint offenbar, daß es eine wichtige Aufgabe der Volkswirtschaftslehre sei, normative Aussagen darüber zu treffen, welche Ziele die Politik sich setzen sollte.

Aber ist das dann noch Wissenschaft? Ehrlich, das Erklären ist anstrengend und aufwendig genug. Das bedeutet nicht, daß Ökonomen nichts zur Diskussion von politischen Zielen beizutragen hätten. Vor allem können sie Zielkonflikte verdeutlichen. Aber für das Festlegen politischer Prioritäten bleiben die Regierung und die interessierte Öffentlichkeit zuständig. Soviel Arbeitsteilung muß sein.

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Zur Schuldenbremse: Zeit für eine Föderalismusreform III!

Sie, liebe Leserinnen und Leser, fragen sich jetzt angesichts der Überschrift vielleicht gerade, ob man es mit dem Reformieren nicht auch übertreiben kann. Immerhin wurde ja gerade erst die zweite Föderalismusreform im Bundesrat beschlossen. Reicht es damit nicht erst einmal? Wurde nicht in den letzten Jahren am deutschen Föderalismus genug herumreformiert? Ich denke nein. Aber fangen wir von vorne an.

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Weitere Risiken?

And on top there is an unique and unaddressed huge potential banking crisis. The Germans pride themselves on their three-legged banking system, but it is incredibly interlinked. The IMF warns that Germany could have to take at least $500bn of writedowns, which its banks have not begun to recognise. German banks hold a trillion dollars - maybe more - of maturing collateralised debt obligations that can only be refinanced by crystallising the losses. We've had RBS and you've had Citigroup. Germany's GDP will fall 6% this year - before the banking crisis has hit it.

Will Hutton im Gespräch mit Paul Krugman, abgedruckt im Guardian.

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Erbschaftsteuer? Ja, aber...

Wenn über die Erbschaftsteuer diskutiert wird, dann dauert es oft nicht lange, bis die Diskutanten sich in eine aufgeregte bis hitzige Stimmungslage steigern und unversöhnliche Standpunkte offenbar werden. Man landet nämlich meist schnell bei der ganz grundsätzlichen Frage, ob der Staat diese Steuer überhaupt erheben sollte. Die einen beklagen eine Doppelbesteuerung von Vermögen, das doch früher, bei seiner Entstehung, schonmal der Einkommensteuer unterworfen war. Sie übersehen dabei aber, daß die Erbschaftsteuer in Deutschland keine Nachlaßsteuer, sondern eine Erbanfallsteuer ist. Andere Diskutanten haben willkürliche, nicht zu rechtfertigende Vorstellungen von einer angeblich gerechten Vermögensverteilung und hoffen, daß eine hohe Steuerlast auf ererbtes Vermögen eine solche Verteilung herstellen könnte. Und wieder andere sehen das Problem pragmatisch. Sie argumentieren, daß eine vernünftig konstruierte Erbschaftsteuer mit moderaten Steuersätzen und breiter Bemessungsgrundlage schon deshalb einen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Budgets leisten sollte, weil eine solche Steuer vermutlich zu geringeren und weniger problematischen Anreizverzerrungen führt als beispielsweise die Einkommensteuer.

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Wahre Größe

Das Grundproblem der optimalen Besteuerung von Einkommen besteht darin, daß man das Potential zur Einkommenserzielung, über das ein Steuerzahler verfügt, nicht beobachten kann. Könnte man es, dann wäre eine anreizneutrale Besteuerung von Einkommen nötig -- die Steuerzahlung würde ja nicht vom tatsächlichen Einkommen, sondern vom potentiell erreichbaren Einkommen abhängen. Kein Steuertarif, und wäre er noch so progressiv, würde jemanden dazu veranlassen, sein Arbeitsangebot als Reaktion auf hohe Steuerlasten einzuschränken.

Dummerweise ist es nicht leicht, wirklich exogene Ansatzpunkte für das potentielle Einkommen eines Steuerzahlers zu finden. Typischerweise werden beispielsweise besser ausgebildete Menschen ein höheres potentielles Einkommen haben. Aber wenn man als Abiturient entscheidet, ob man studieren will oder nicht, dann würde man ja einen Steuertarif, der sich an formalen Bildungsabschlüssen festmacht, bereits kennen. Der Bildungsgrad wird also gerade nicht exogen, sondern vom Steuertarif beeinflußt sein.

Wie wäre es mit dem Intelligenzquotienten? Auf den ersten Blick keine schlechte Idee, aber nichts ist einfacher, als bei einem IQ-Test schlechter abzuschneiden, als man es könnte. Die Steuerzahler könnten also ihr wahres Potential zur Einkommenserzielung verschleiern.

Glücklicherweise gibt es eine Lösung: Greg Mankiw und Matthew Weinzierl schlagen vor, daß ein optimaler Einkommensteuertarif einfach die Größe der Steuerzahler berücksichtigen sollte. Wenn irgendwas exogen ist, dann die Körpergröße, und diese korrellierte bisher immer sehr stark mit dem Einkommen von Haushalten.

Ein Hinweis, bevor es zu tumultartig negativem Leserfeedback kommt: Das Mankiw-Weinzierl-Papier ist mit einem subversiven Augenzwinkern geschrieben, das wiederum einen ernsten Hintergrund hat. Die utilitaristischen Grundlagen der Optimalsteuertheorie werden untergraben, indem sie konsequent zuende gedacht werden.

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Aufwärts!



Quelle: Deutsche Bundesbank.

Gut, da ist noch viel Luft nach oben. Aber marginal, am Rand, da fordern die eskalierenden Budgedefizite bereits ein wenig Tribut.

In den USA sieht es ähnlich aus, was zu einem Streit zwischen Niall Ferguson (Harvard) und Paul Krugman (Princeton) über die korrekte Interpretation der Daten führte.

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Isaiah Berlin, 1909-1997


Bildquelle: Wikipedia.

Ein kurzes nicht-ökonomisches Intermezzo: Der große Oxforder Philosoph Isaiah Berlin wäre genau heute einhundert Jahre alt geworden. In Deutschland ist er leider nur wenig bekannt, aber ähnlich wie Karl Popper und Friedrich von Hayek war er einer von den wenigen, die 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der verschiedenen Totalitarismen, unbeirrt die Fahne des Liberalismus hochhielten. In Großbritannien war er wahrscheinlich derjenige von ihnen, der sowohl in der Politik, als auch in einer breiteren Öffentlichkeit am meisten Gehör fand.

Die Universität Oxford hat ihm zu ehren eine virtuelle Bibiliothek eingerichtet, Apple stellt einige seiner Vorträge als kostenlose Podcasts für iTunes zur Verfügung und der britische Independent druckt einen sehr schönen Artikel zum hundertjährigen Geburtstag (via PhiloBlog). Hervorragend ist auch die inzwischen bereits gut zehn Jahre alte Berlin-Biographie von Michael Ignatieff.

Den vielleicht bekanntesten Aufsatz Berlins, Two Concepts of Liberty, gibt es als PDF auf den Seiten der New York University. Daraus ist auch folgender Ausschnitt:

Pluralism, with the measure of 'negative' liberty that it entails, seems to me a truer and more humane ideal than the goals of those who seek in the great disciplined, authoritarian structures the ideal of 'positive' self-mastery by classes, or peoples, or the whole of mankind. It is truer, because it does, at least, recognise the fact that human goals are many, not all of them commensurable, and in perpetual rivalry with one another. To assume that all values can be graded on one scale, so that it is a mere matter of inspection to determine the highest, seems to me to falsify our knowledge that men are free agents, to represent moral decision as an operation which a slide-rule could, in principle, perform. To say that in some ultimate, all-reconciling, yet realisable synthesis duty is interest, or individual freedom is pure democracy or an authoritarian State, is to throw a metaphysical blanket over either self-deceit or deliberate hypocrisy. It is more humane because it does not (as the system-builders do) deprive men, in the name of some remote, or incoherent, ideal, of much that they have found to be indispensable to their life as unpredictably self-transforming human beings.

In the end, men choose between ultimate values; they choose as they do because their life and thought are determined by fundamental moral categories and concepts that are, at any rate over large stretches of time and space, a part of their being and thought and sense of their own identity; part of what makes them human.


Klausuraufgabe: Diskutieren Sie vor dem Hintergrund dieses Zitats einige Probleme von Sozialen Wohlfahrtsfunktionen als Instrument ökonomischer Analyse! (Keine Sorge, dies war nur ein Scherz)

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Systemrelevanz: Ein Begriff macht Karriere

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist immer wieder die Rede davon, daß Unternehmen systemrelevant seien und deshalb staatlicher Unterstützung bedürften, falls sie der Insolvenz nahe sind. Wann ist ein Unternehmen systemrelevant? Eigentlich ist das Kriterium klar: Wenn sein Bankrott eine Kettenreaktion auslösen würde, die so fatal wäre, daß die Gesamtwirtschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen würde.

Soweit, so klar. Oder auch nicht, denn im Einzelfall gibt es natürlich erheblichen Interpretationsbedarf. Ist die Hypo Real Estate systemrelevant? Könnte man die Commerzbank noch insolvent werden lassen, während die Deutsche Bank schon too big to fail wäre? Da wird es also durchaus schwammig. Dennoch ist der Begriff der Systemrelevanz nicht völlig nutzlos, denn zumindest kann man von einer Menge Unternehmen sagen, daß sie mit Sicherheit nicht systemrelevant sind, so daß staatliche Unterstützung eigentlich nicht angezeigt ist.

Dummerweise hilft das in der politischen Praxis nicht. Denn was nicht systemrelevant ist, das wird einfach als systemrelevant deklariert. Schon bei Opel war das der Fall, als Ministerpräsidenten, die einen Opelstandort in ihrem Land haben, von Überkapazitäten in der Automobilindustrie abstrahierten und den maroden Automobilhersteller zum systemrelevanten Unternehmen umdefinierten. Es seien ja schließlich auch Zulieferer betroffen, also würde es eine Kettenreaktion im Falle eines Bankrotts geben.

Nun, damit war der Gipfel der Albernheit noch lange nicht erreicht. Gestern hörte man Martin Schulz im ZDF nämlich behaupten, daß auch Karstadt systemrelevant sei. Wieso? Weil dort, wo ein Kaufhaus schließe, die Innenstadt veröde. Vermutlich mußte Schulz in einer ruhigen Minute nach der Sendung selbst über seine Behauptung schmunzeln. Jetzt warte ich jedenfalls nur noch darauf, daß mit einem ähnlichen Argument ein Lokalpolitiker die Bäckerei Müller von nebenan für systemrelevant erklärt.

Und die Moral von der Geschichte? Wer dem Interventionismus die Tür auch nur einen (begrifflichen) Spalt weit öffnet, der hat bald eine Meute im Haus, die unkontrolliert mit dem Geld anderer Leute um sich wirft.

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Von einer Intervention zur nächsten

Schon damals im Studium, lange ist es her, habe ich einen Klassiker ordnungspolitischer Argumente gelernt: Wenn man einmal mit den Interventionen in den Marktprozeß beginnt, fällt es oft schwer, aufzuhören. Eine Intervention trägt die Begründung für die nächste schon in sich.

Die sogenannte Rettung von Opel scheint ein Lehrstück dafür zu werden. Spiegel Online berichtet:

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) rechnet dagegen noch in der Nacht als Kontrast zur Argumentation des CSU-Ministers vor, dass der Staat im Fall einer Insolvenz vermutlich binnen drei Monaten für Bürgschaftsgarantien an Zulieferer einen Betrag von 1,5 Milliarden Euro aufbringen hätte müssen. "Das wäre ziemlich exakt mindestens die Summe, über die wir jetzt als Brückenkredit reden", sagt Koch - wobei das Geld dann wohl weg wäre. Darum sei eine Insolvenz keine gute Lösung.

Ganz nüchtern also: Dem schlechten Geld noch gutes Geld hinterher werfen. Normalerweise macht man das nicht, aber wenn's nicht das eigene Geld, sondern das zukünftiger Steuerzahler ist, dann schon.

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Porsche

Es ist nur ein Beispiel, aber es ist symptomatisch: Wenn man erfahren will, was eigentlich bei Porsche los ist, dann wird man in der deutschen Wirtschaftspresse nicht so recht fündig. Nicht, daß man nichts über Porsche und VW erfahren würde. Wer wen nicht mag in den Vorständen und Aufsichtsräten, wer wen mal gekränkt hat, wie sich zwei prominente Manager bei der Aktionärsversammlung auf dem Podium anschweigen -- das erfährt man schon. Seifenoper eben. Wieso in aller Welt Porsche nach den famosen, mit Aktienoptionen erwirtschafteten Buchgewinnen des letzten Geschäftsjahres jetzt nahe an der Insolvenz ist, wird dem Leser nicht wirklich erklärt.

FT-Alphaville dagegen, das Weblog der englischen Financial Times, schafft das in fünfeinhalb Zeilen.

Porsche, struggling to combine with Volkswagen, could lose some of the €17.3bn ($24.3bn) in profits recorded from holding VW options because it may not have the money to exercise them, reports Bloomberg. Porsche bought options and VW stock for more than three years and controls more than 70% of Europe’s biggest automaker. Now, Porsche may be unable to raise the money needed to cash in the options, according to analysts’ research.

Geht doch.

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Zuviele Exporte?

Deutschland wird verglichen mit anderen Ländern relativ stark von der aktuellen Krise getroffen. Kein Wunder, schließlich reagiert die weltweite Nachfrage nach Investitionsgütern oder teueren Konsumgütern besonders stark auf eine solche Krise, und das sind nunmal genau die Güter, die Deutschland exportiert.

Einige Kritiker führt das zu der Behauptung, Deutschland sei zu exportabhängig. Dagegen könnte man etwa einwenden, daß diese Behauptung auf einer sehr kurzfristigen Perspektive beruht: Sobald die Krise in einen Aufschwung mündet und die Nachfrage nach Investitionsgütern wieder zunimmt, werden deutsche Unternehmen auch davon besonders früh und stark profitieren. Man darf also nicht nur den Abschwung im Blick haben; wer behauptet, daß eine starke Exportorientierung schlecht ist, müßte zeigen, daß dies über den gesamten Konjunkturzyklus gilt.

Aber es gibt noch ein wichtigeres Gegenargument: So ungewöhnlich stark ist die deutsche Exportorientierung nämlich gar nicht, wenn man einige unveränderliche, länderspezifische Besonderheiten wie die geographische Lage berücksichtigt:

Eine nähere Analyse der Komponenten der fixen Effekte macht deutlich, dass Deutschland
generell Vorteile aus der geringen Distanz zu wichtigen Handelspartnern zieht. Im Gegensatz zu Deutschland haben die USA sowie China und Japan deutlich größere Distanzen zu den Zielländern ihrer Exporte zu überbrücken und damit höhere Transportkosten zu tragen. Der weitaus größte Vorteil für die deutschen Exporte besteht aber darin, dass sich Deutschland im Kern eines globalen Handelszentrums befindet. Zwar können auch andere exportstarke europäische Länder, wie Frankreich, Italien und Großbritannien, die ebenfalls hohe fixe Effekte aufweisen, die Nähe zu wichtigen Handelspartnern nutzen. Doch ist Deutschland im Gegensatz zu diesen Staaten in größerem Maße von wirtschaftsstarken Ökonomien umschlossen und kann so seine zentrale Lage zu angrenzenden Volkswirtschaften optimal nutzen. Auch die zeitveränderlichen Parameter, wie die Mitgliedschaft in internationalen Institutionen, lassen nur bedingt auf eine besondere Leistung Deutschlands schließen.


aus: B. Herz und M. Wagner, Exportweltmeister Deutschland: Ein Sommermärchen?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik 9 (2008): 446-464.

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Expansive Fiskalpolitik und die Arbeitslosigkeit in den USA


Quelle: Greg Mankiw.

Die Abbildung enthält Prognosen für die Entwicklung der Arbeitslosenquote, welche das Team der aktuellen amerikanischen Regierung im Januar veröffentlicht hat. Dunkelblau das Szenario mit expansiver Fiskalpolitik, hellblau das Szenario ohne.

Rot markiert sind zwei Datenpunkte der tatsächlichen Entwicklung -- bekanntlich mit Stimulus.

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Ein Steuerinferno?

Die Nachrichten der letzten Woche klangen desaströs, denn sie berichteten von erwarteten Steuerausfällen für den Gesamtstaat in der Größenordnung von 316 Milliarden Euro für die Jahre 2009 bis 2012.

Steuermindereinnahmen -- relativ wozu eigentlich? Viele oberflächlich informierte Nachrichtenkonsumenten würden wahrscheinlich antworten: Relativ zu den Steuereinnahmen von 2008. Aber das trifft eben nicht zu. Schauen wir uns die prognostizierten Einnahmen mal an (gerundet):

2008: 561 Mrd
2009: 527 Mrd
2010: 510 Mrd
2011: 527 Mrd
2012: 552 Mrd
2013: 575 Mrd

Also Steuermindereinnahmen bis 2012 relativ zum Niveau von 2008 in Höhe von etwa 128 Milliarden. Über vier Jahre, für Bund, Länder und Gemeinden. Das ist nicht angenehm, aber auch keine Katastrophe.

Die dramatischen 316 Milliarden ergeben sich dagegen einfach relativ zum vorangegangenen, zu optimistischen Prognoseszenario.

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Angebot, Nachfrage und etwas zuviel Optimismus

Die New York Times bringt eine lange und sehr lesenswerte Reportage über die Sub-Prime-Krise. Nicht aus der Vogelperspektive, nicht unter Zuhilfenahme eines theoretischen Modells, sondern von unten: Ein Mitglied der Wirtschaftsredaktion berichtet, wie er sich selbst beim Hauskauf verschätzte, und was dann passierte:

As I walked out of the settlement office with my loan papers, I couldn’t shake the sense of having just done something bad . . . but also kind of cool. I had just come up with almost a half-million dollars, and I had barely lifted a finger. It had been so easy and fast. Almost fun. I couldn’t help feeling like a high roller, a sophisticated player who could lay his hands on big money at a moment’s notice. Despite my nagging anxiety about the gamble that Patty and I were taking, I had whipped through the pile of loan documents in less than 45 minutes.

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