Ein moralisches Dilemma

Es betrifft ein politisch vermintes Terrain, aber gerade in diesen Tagen ist es vielleicht nützlich, nochmal auf ein etwas älteres Papier hinzuweisen:

Raphael Franck, Arye Hillman und Miriam Krausz, Public Safety and the Moral Dilemma in the Defense Against Terror, Defence and Peace Economics 16 (2005): 347-364.

Dort wird folgende Situation analysiert: Es gibt zwei Populationen, die eine besteht aus potentiellen direkten Opfern terroristischer Attacken, die andere sowohl aus Terroristen, als auch aus wohlmeinenden Zivilisten. Das moralische Dilemma folgt daraus, daß die Angehörigen der ersten Population nicht sicher unterscheiden können, wer in der zweiten Population Terrorist und wer Zivilist ist. Maßnahmen zur Abschreckung von Terroristen treffen immer auch Zivilisten, etwa in Form von strikten Grenzkontrollen und Einreiseverboten, oder, wie im aktuellen Fall, noch wesentlich katastrophaleren Folgen.

Die drei Autoren stellen sich nun die Frage, wie unterschiedliche denkbare Entscheidungsträger in einer rationalen Wahl mit diesem Dilemma umgehen. Ein wesentliches Resultat ist, daß es problematisch ist, ein von den Autoren sogenanntes Neo-Nietzscheanisches, geläufiger wäre vielleicht: Rawlssches, Wohlfahrtskriterium anzulegen, das eine Verbesserung der Situation nur dann für gegeben hält, wenn die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft besser gestellt werden. Dieses hat nämlich eine wesentliche Konsequenz:

Neo-Nietzschean principles invite a contest of suffering in the quest for favor with the external judges. It is costly to be in the position that finds favor with neo-Nietzschean judges.

Rawlssche externe Beobachter werden sich stets gegen Versuche aussprechen, Terrorismus zu bekämpfen, sofern die Bekämpfung von Terrorismus auch negative Effekte auf die zivile Bevölkerung hat. Das bedeutet aber in der Praxis: Terroristen, die auf internationale Unterstützung hoffen können, wenn sie -- scheinbar -- eine "schwache" Population repräsentieren, haben einen gewissen Anreiz, dafür zu sorgen, daß die Menschen in ihrer Population tatsächlich schwach sind. Dies scheint eine ganz akkurate Darstellung der Anreize zu sein, unter denen etwa die Terrororganisation Hamas operiert.

Zweifellos, der moralische Impuls, sich zunächst auf die Seite der Schwächsten zu stellen, ist eigentlich sehr ehrenvoll und nachvollziehbar. Aber in der politischen Praxis terroristischer Bedrohungen setzt man damit sehr problematische Anreize gerade für politische Terrororganisationen wie Hamas, die auch noch unmittelbare politische Macht ausüben und damit einen direkten Einfluß auf die Wohlfahrt ihrer eigenen Bevölkerung haben.