Die Schuldenbremse

Die Föderalismuskommission hat die Einführung einer Schuldenbremse beschlossen: Bis 2020 soll die Nettoneuverschuldung der Bundesländer auf Null heruntergefahren werden, der Bund behält einen Spielraum von 0,35 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Na gut, denkt man sich, sowas kennt man ja - die Ankündigung, irgendwann in fünf bis zehn Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen zu können, gehört schließlich seit ungefähr 1983 zum Standardrepertoire eines jeden Finanzministers.

Aber etwas ist diesmal anders: Diese Schuldenbremse soll noch vor der Sommerpause im Grundgesetz verankert werden und im Gegensatz zu den weichen, leicht auszuhebelnden Vorschriften des aktuellen Art. 115 GG soll es diesmal eine klare, eindeutige und unumgehbare Verfassungsnorm werden.

Es gibt sicherlich im Detail und auch grundsätzlich einiges auszusetzen. Wenn etwa die Länder ein striktes Verschuldungsverbot haben, der Bund aber immer noch einen begrenzten Verschuldungsspielraum, dann kann man sich vorstellen, daß demnächst neue vertikale Transfers die Länderautonomie noch etwas mehr erodieren lassen. Bei Spiegel-Online allerdings veröffentlicht Sebastian Dullien eine Philippika mit ganz anderen Einwänden, die ich, ehrlich gesagt, nicht verstehe. Hier sind drei verwunderte Anmerkungen:

(i) Dullien moniert, daß die Schuldenbremse in den Verfassungsrang erhoben wird, wo doch Wirtschaftspolitik so unvorhersehbar sei und sich ständig ändere. Aber das ist ja gerade der Punkt. Es geht darum, durch übergeordnete Regeln Verläßlichkeit zu schaffen und den kurzfristigen Entscheidungsspielraum eigennütziger Politiker zu reduzieren. Das ist doch gerade der Sinn konstitutioneller checks and balances. Man wird doch auch nicht die Disposition über einen Wurstvorrat dem kurzfristigen Pragmatismus seines Hundes überlassen.

(ii) Diese alte Lastenverteilungsgeschichte: Öffentliche Schulden werden damit gerechtfertigt, daß damit öffentliche Güter finanziert werden, von denen auch zukünftige Generationen etwas haben. Also könnten sie ja auch zu ihrer Finanzierung beitragen, und dafür sorgen wir, indem wir diesen Generationen Zins- und Tilungslasten hinterlassen. Aber funktioniert das wirklich so? Erstens: Woher sollen wir beispielsweise wissen, ob die Steuerzahler in dreißig Jahren mit einer heute gebauten Autobahn etwas anfangen können? Vielleicht hat sich bis dahin der Individualverkehr soweit verteuert, daß den zukünftigen Steuerzahlern eine ICE-Strecke viel lieber gewesen wäre. Hinter der Behauptung, heute zu wissen, was die Steuerzahler morgen wünschen, steckt in jedem Fall eine paternalistische Anmaßung. Zweitens: Die implizite Staatsverschuldung inklusive der Lasten der Sozialversicherungssysteme ist ohnehin schon so hoch, daß sich eine weitere Belastung zukünftiger Steuerzahler auch dann nicht rechtfertigen ließe, wenn man dem Lastenverteilungsargument grundsätzlich zustimmen würde.

(iii) Diese Analogien zur Schuldenaufnahme privater Unternehmen bei Dullien kommen mir reichlich fehl am Platze vor. Die regelmäßigen Verstöße gegen die Investitionsschranke des Art. 115 GG sprechen Bände: Öffentliche Verschuldung dient (jedenfalls zu einem großen Teil) regelmäßig dazu, private Ersparnisse in öffentlichen Konsum zu transformieren. Auf der Strecke bleiben dabei effizientere, private Investitionen. Aber es gibt noch einen weiteren Unterschied zwischen sich verschuldenden Unternehmen und einem sich verschuldenden Staat, nämlich völlig verschiedene Anreizstrukturen. Die politisch-ökonomische Theorie der öffentlichen Verschuldung könnte man doch wenigstens zur Kenntnis nehmen, bevor man eine Schuldenbremse kritisiert.