Der Fluch der Partialanalyse

In der Financial Times Deutschland kann man ein Lob der Abwrackprämie lesen, welches in folgender Behauptung kulminiert:

Wenn Opel und Ford außerdem melden, dass sie Kurzarbeit dank der Abwrackprämiennachfrage jetzt wieder aussetzen, zeigt das, was es heißen kann, eine Spirale zu stoppen und Kollateralschäden zu begrenzen. Ohne Abwrackschub wären besagte Kurzarbeiter mit hoher Wahrscheinlichkeit in ein paar Monaten echte Arbeitslose, die dann auch kein Geld mehr für Autos, Sofas oder Kühlschränke hätten – und den Staat noch mehr Geld kosten.

Da setzt sich Thomas Fricke nun aber selbst Scheuklappen auf. Er guckt sich einen Markt an, den für Automobile, und freut sich, daß die Abwrackprämie dort Arbeitsplätze rettet. Nun ist dies tatsächlich schön für jeden, der bei Opel oder Ford arbeitet und nun für einige Monate aus der Kurzarbeit heraus ist. Nämlich bis zum Spätsommer oder Herbst, wenn sich die Automobilnachfrage wieder auf oder unter dem Niveau stabilisiert hat, das sie vor der Intervention hatte. Aber wenn Fricke seine Scheuklappen ablegt und sich mal überlegt, was gesamtwirtschaftlich passiert, dann wird er schon jetzt auf folgende Dinge stoßen:

(i) Die Abwrackprämie führt dazu, daß Automobile vernichtet werden, die noch einen positiven Wert haben und eine ganze Weile gute Dienste leisten könnten. Das sollte man berücksichtigen, wenn man Kosten und Nutzen der Abwrackprämie abwägt, denn sonst fällt man auf die broken window fallacy herein.

(ii) Neue Nachfrage oder neu alloziierte Nachfrage? Eine Menge Konsumenten haben gerade ihr neues Auto mit der Abwrackprämie angezahlt, und in den nächsten drei, vier Jahren werden diese Leute den Rest des Kaufpreises in Raten abstottern. Das Geld muß irgendwo herkommen. Also kaufen sie demnächst ihre Wurst nicht mehr beim Metzger, sondern im Supermarkt, oder sie schieben die Renovierung ihres Wohnzimmers auf, oder, oder, oder... Die unterbrochene Kurzarbeit bei Opel, die sieht man, das ist eine Schlagzeile. Die verstreuten, entlassenen Baumarktmitarbeiter oder insolventen Metzgermeister fallen da schon weniger ins Auge.

(iii) Ich will ja nicht behaupten, daß Ricardianische Äquivalenz in einem strikten Sinn gilt, aber der eine oder andere Haushalt wird angesichts des aktuellen Anstiegs der öffentlichen Verschuldung durchaus spätere Steuererhöhungen antizipieren und mehr sparen. Also fällt weitere Konsumnachfrage weg, irgendwo, wo keine subventionierten Automobile verkauft werden.

Das sind nur drei Beispiele zur Illustration, man kann sich natürlich noch viele weitere Effekte vorstellen. Unterm Strich ist das Resultat der Abwrackprämie jedenfalls vor allem: Umverteilung, und zwar hin zu Automobilherstellern mit potenter politischer Interessenvertretung. Das ist kein free lunch, sondern ein Spaß, der von vielen verstreuten und politisch schlecht organisierten Betroffenen bezahlt wird. Der FTD-Chefökonom sollte selbst mal ein wenig die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stimulieren und sich einen Klassiker der politischen Ökonomik bestellen. Aber nicht aufschieben, bis es im Rahmen des sicher bald auf der Agenda erscheinenden dritten Konjunkturpaketes auch noch Büchergutscheine geben wird!