Systemrelevanz: Ein Begriff macht Karriere

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist immer wieder die Rede davon, daß Unternehmen systemrelevant seien und deshalb staatlicher Unterstützung bedürften, falls sie der Insolvenz nahe sind. Wann ist ein Unternehmen systemrelevant? Eigentlich ist das Kriterium klar: Wenn sein Bankrott eine Kettenreaktion auslösen würde, die so fatal wäre, daß die Gesamtwirtschaft schwer in Mitleidenschaft gezogen würde.

Soweit, so klar. Oder auch nicht, denn im Einzelfall gibt es natürlich erheblichen Interpretationsbedarf. Ist die Hypo Real Estate systemrelevant? Könnte man die Commerzbank noch insolvent werden lassen, während die Deutsche Bank schon too big to fail wäre? Da wird es also durchaus schwammig. Dennoch ist der Begriff der Systemrelevanz nicht völlig nutzlos, denn zumindest kann man von einer Menge Unternehmen sagen, daß sie mit Sicherheit nicht systemrelevant sind, so daß staatliche Unterstützung eigentlich nicht angezeigt ist.

Dummerweise hilft das in der politischen Praxis nicht. Denn was nicht systemrelevant ist, das wird einfach als systemrelevant deklariert. Schon bei Opel war das der Fall, als Ministerpräsidenten, die einen Opelstandort in ihrem Land haben, von Überkapazitäten in der Automobilindustrie abstrahierten und den maroden Automobilhersteller zum systemrelevanten Unternehmen umdefinierten. Es seien ja schließlich auch Zulieferer betroffen, also würde es eine Kettenreaktion im Falle eines Bankrotts geben.

Nun, damit war der Gipfel der Albernheit noch lange nicht erreicht. Gestern hörte man Martin Schulz im ZDF nämlich behaupten, daß auch Karstadt systemrelevant sei. Wieso? Weil dort, wo ein Kaufhaus schließe, die Innenstadt veröde. Vermutlich mußte Schulz in einer ruhigen Minute nach der Sendung selbst über seine Behauptung schmunzeln. Jetzt warte ich jedenfalls nur noch darauf, daß mit einem ähnlichen Argument ein Lokalpolitiker die Bäckerei Müller von nebenan für systemrelevant erklärt.

Und die Moral von der Geschichte? Wer dem Interventionismus die Tür auch nur einen (begrifflichen) Spalt weit öffnet, der hat bald eine Meute im Haus, die unkontrolliert mit dem Geld anderer Leute um sich wirft.